Erst Mechanik, Software und Co machen eine gute EMV-Entwicklung komplett
EMV betrifft nicht nur Elektronik-Entwickler
Allzu oft bekomme ich auf die Frage nach dem EMV-Verantwortlichen (Plural!) von Kunden die Antwort, das sei Herr Müller (Maier oder Schulze) aus der Schaltungsentwicklung (oder Elektrokonstruktion, je nach Branche).
Diese Antwort offenbart ein großes Missverständnis. Zum einen sind damit EMV-Probleme vorprogrammiert, zum anderen wird ein enormes Potenzial zur Kostenreduktion und zur Reduzierung von EMV-Problemen nicht genutzt.
Die Bereiche jenseits der klassischen Schaltungsentwicklung haben mehr Einfluss als man denkt.
Worauf kommt es bei der Mechanikentwicklung an?
Was ist bei der Schirmung zu beachten?
Teure (weil EMV-schädliche) oder kostenlose, EMV-dienliche Beiträge der Software – Sie haben die Wahl.
Nutzen Sie die Chancen, die hier „verborgen“ liegen.
Die Mechanik (Gehäuse, Kühlkörper, Stecker, Kabel usw.) beeinflusst die EMV viel stärker als den meisten bewusst ist.
Im Vergleich zur Schaltungsentwicklung sind nachträgliche Änderungen größtenteils viel aufwändiger und teurer – oft wie „in Beton gegossen“. Deshalb ist es wichtig, die Einflüsse zu kennen und frühzeitig die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Zwei gegenüberliegende Stecker im Gehäuse beispielsweise verschlechtern die EMV-Performance rapide. Zusätzliche Antennen werden aufgespannt und eine saubere Trennung von störenden und empfindlichen Teilen wird massiv erschwert.
Mit der Gehäusegeometrie wird u.a. festgelegt, wie viel Bauraum wo zur Verfügung steht. Geschieht dies ohne Berücksichtigung der EMV, können andere Teile (Leiterplatte, Kabelbaum, etc.) unter Umständen nicht optimal ausgelegt werden.
Beispiel: Höhere Bauteile werden wegen Platzmangel auf der Leiterplatte an einer Stelle platziert, die die richtige Schaltungsgruppierung (Zonenkonzept) erschwert und meist größere Schleifen verursacht. Dies muss an anderer Stelle durch zusätzliche Maßnahmen kompensiert werden, was in jedem Fall zusätzliche Kosten verursacht und nicht immer funktioniert.
Ecken und Kanten von leitfähigen Gehäusen stellen in mehrfacher Hinsicht EMV-Schwachstellen dar. Dies gilt insbesondere, wenn hier verschiedene Gehäuseteile zusammengefügt werden. Es entstehen sogenannte Schlitzantennen. Im ungünstigsten Fall können diese Antennen auch – wie herkömmliche Antennen, die für den Sende-/Empfangsbetrieb ausgelegt sind – einen positiven Gewinn aufweisen. Das heißt, die Störungen werden zusätzlich verstärkt. Hier gibt es verschiedene Lösungsansätze mit sehr unterschiedlichen Kostenpotentialen, die im Einzelfall zu bewerten sind.
Die Geometrie der Steckverbinder, ihre Anordnung und die Pinbelegung bestimmen, welche Ströme wohin fließen, welche Leitungen nahe beieinander liegen (auf der Leiterplatte und in der Verkabelung), wie störende Signale getrennt werden können und inwieweit Störschleifen entstehen.
Überlegen Sie sich vorher, welche Einflüsse von innen und außen zu erwarten sind. Je nach Komplexität kann bereits eine einfache Handskizze von Vorteil sein.
Werden mehrere Stecker verwendet, kann eine ungünstige Anordnung ein gutes EMV-Verhalten von vornherein zunichtemachen.
Insbesondere Stecker auf gegenüberliegenden Gehäuseseiten sollten möglichst vermieden werden. Zusätzliche Antennen werden aufgespannt und eine saubere Trennung von störenden und empfindlichen Teilen wird massiv erschwert.
Schleifen, die innerhalb der Verkabelung zwangsläufig entstehen, müssen unter EMV-Gesichtspunkten ausgelegt werden.
Müssen die Leitungen abgeschirmt werden? Wenn ja, wie – einseitig oder beidseitig?
Wann ist eine Verdrillung sinnvoll?
Gibt es eventuell andere, kostengünstigere Ansätze?
Die Kopplungsmechanismen beeinflussen die Ausführung der Verkabelung.
Es ist leider ein Trugschluss zu glauben, dass im Zweifelsfall eine Schirmung immer hilft. Das gilt auch für geschirmte Gehäuse.
Was bei der Konstruktion versäumt wurde, rettet eine Schirmung nur selten. Und wenn doch, dann mit unnötig hohen Kosten.
Die Erfahrung zeigt, dass Kühlkörper oft strahlende Strukturen darstellen. Dies ist nicht überraschend. Gleichzeitig ist es nicht trivial, dies zu verhindern. Eine EMV-gerechte Anbindung erfordert einige Überlegungen.
Auf der einen Seite müssen Sicherheitsanforderungen ebenso erfüllt werden wie natürlich die thermische Anbindung. Andererseits ist eine galvanische Trennung meist kontraproduktiv, da Kühlkörper aufgrund ihrer Geometrie eine hervorragende kapazitive Koppelstruktur darstellen.
Hier ist im Einzelfall abzuwägen, was geht, was nicht und was zielführend ist.
Oft höre ich Sätze wie „und wenn wir am Ende immer noch EMV-Probleme haben, dann schirmen wir eben …“.
Ganz häufig steht am vermeintlichen Ende solcher Projekte nicht die Lösung mittels Schirmung, sondern ein böses Erwachen.
Deshalb hier ein paar Erklärungen und Hintergründe
Vorab sei schon mal erwähnt:
Die Wirksamkeit von Schirmung wird pauschal meist überschätzt.
Schirmung beruht auf 2 physikalische Effekten:
Aus der Leitungstheorie wissen wir, dass es dann zu keinen Reflexionen kommt, wenn Anpassung herrscht.
Da wir bei der Schirmung eine hohe Reflexion haben wollen, heißt das, wir müssen uns möglichst weit von der Anpassung wegbewegen.
Aber wo müssen wir die Fehlanpassung generieren?
Hohe Reflexion bekommen wir, wenn die Impedanz des Schirmmaterials sich stark vom Feldwellenwiderstand des Felds unterscheidet.
Im Fernfeld beträgt der Feldwellenwiderstand Z0 (Impedanz des freien Raumes) 377 Ω.
Erste Bedingung:
ZM: Impedanz des Schirmmaterials
Z0: Impedanz des freien Feldes (Fernfeldbedingung)
Faustregel:
Bewegen wir uns aber im Nahfeld ist der Feldwellenwiderstand keine Konstante mehr und E-Feld und H-Feld haben bei gleichem Abstand (teils gravierend) unterschiedliche Werte.
Allgemein gilt:
r: Reflektionsgrad
ZM: Impedanz des Schirmmaterials
ZW: abstandsabhängige Impedanz des Feldes
Hohe Reflexion erhalten wir, wenn
Wann sprechen wir vom Nahfeld?
l: Abstand zur Feldquelle
λ: Wellenlänge
Je näher die Feldquelle an der Schirmebene liegt desto geringer wird der Feldwellenwiderstand des H-Feldes. D.h. umso schwieriger wird es magnetische Felder abzuschirmen.
Bei einem Abstand, der dem Hundertstel der Wellenlänge entspricht, geht die Reflexion gegen null, wenn die Schirmungsimpedanz bei dieser Wellenlänge 4 Ω entspricht.
Zahlenbeispiele:
(Lese-Hinweis: bei Frequenz x besteht bei kleinerem Abstand als y zur Störquelle quasi keine magnetische Reflexion)
100 MHz: 3 mm
1 MHz: 30 cm
100 kHz: 3 m
10 kHz: 30 m
D.h. je niedriger die Frequenz, desto schwieriger wird es magnetische Felder abzuschirmen.
Einen Schaltregler mit einem Kupfer- oder Aluminium-Schirm bzgl. seiner Emissionen begrenzen zu wollen, ist für Frequenzen im niedrigen bis mittleren MHz-Bereich oder gar im kHz-Bereich und anwendungstypischen Abständen NICHT möglich.
Es reicht nicht aus, die Impedanz des Schirmmaterials ein wenig kleiner, als den abstandsabhängigen Feldwellenwiderstand zu machen.
Er muss deutlich niedriger sein – mindestens eine Zehnerpotenz.
Kommt man an die physikalischen Grenzen der Reflexion so bleibt nur noch die Möglichkeit die absorbierendes Schirmmaterial zu verwenden.
Diese Eigenschaft wird mit der Größe der relativen Permeabilität µr beschrieben. Der Wert muss mindestens 3-stellig sein, besser deutlich größer.
Einige Beispiele für die relative Permeabilität (nur die Grünen haben absorbierende Eigenschaften)
Für eine analytisch genaue Betrachtung wäre die Berücksichtigung der Eindringtiefe notwendig. Sie besagt, dass bei einer Materialstärke entsprechend der Eindringtiefe das Feld um 1/e reduziert wird.
Für den normalen Anwender reicht es aus zu wissen, dass ein Schirm nicht beliebig dünn sein darf. Meist sind diese durch mechanische Erfordernisse ausreichend dick.
Relevant wird es allerdings, wenn wir über Schirmbedampfungen sprechen. Diese sind meist sehr aufwändig in der Herstellung und damit teuer oder NICHT dauerhaltbar über Produktlebenszeit.
Tiefer gehende Erklärungen und Berechnungshinweise erspare ich Ihnen hier.
Das schwächste Glied in der Schirmung bestimmt die Wirksamkeit des gesamten Schirmsystems.
Das schwächste Glied ist häufig die Verbindung der Kabelschirme mit einem metallischen Gehäuse. Auch hier sollte die Impedanz kleiner als 0,1 Ohm sein (wohlgemerkt auch bei hohen Frequenzen).
Sogenannte Pigtails erfüllen diese Anforderung nicht. Darunter versteht man die Verbindung des Schirms mit dem Gehäuse über einen Draht oder ein verdrilltes Schirmgeflecht.
Eine breite, möglichst umlaufende Anbindung ist anzustreben.
Ein nur einseitiges Anbinden des Schirms sollte ebenfalls vermieden werden. Das oft genannte „Gegenargument“, dass es bei beidseitiger Schirmauflage zu unzulässigen Ausgleichsströmen kommen würde, ist eher ein Hinweis auf ein unzureichendes Massekonzept.
Hier liegt der Fehler an anderer Stelle.
Unzureichend aufgelegte Kabelschirme verkehren den Schutz schnell ins Gegenteil und werden selbst zur Antenne.
Im Maschinen- und Anlagenbau sind oft meterlange geschirmte Leitungen anzutreffen. Diese vertragen sich nicht mit bestimmten Filtertypen.
Hier ist es besser, etwas mehr in gute Filter zu investieren und dann auf die Schirmung zu verzichten.
Wenn wir über den Zusammenhang von Software und EMV reden, dreht sich die Diskussion meist um 3 Themenfelder.
Das Schöne an diesem Themenblock ist die Tatsache, dass wir über EMV-Maßnahmen reden, die keine Stückkosten verursachen. Werden die Software-Kollegen frühzeitig eingebunden, so entstehen die Lösungen quasi nebenbei und können manche Hardware-Maßnahme überflüssig machen.
Die Festlegung von Abtastraten für die Auswertung von (Mess-)Signalen folgt häufig der Überlegung, eine möglichst hohe Auflösung bzw. eine hohe bis sehr hohe Geschwindigkeit zu erreichen. Dies wird gleichgesetzt mit einer hohen Qualität der Auswertung.
Dies bedeutet aber auch, dass jedes noch so kleine Störsignal erkannt wird. Die Folge ist eine hohe Empfindlichkeit gegenüber EMV-Störungen.
Deshalb ist immer abzuwägen, wie schnell oder hochauflösend es wirklich sein muss. Oft reicht weniger für eine stabile Funktion.
Beispiel: Es ist selten sinnvoll, eine Temperatur innerhalb weniger Sekunden oder gar Sekundenbruchteilen wiederholt abzufragen.
Gerade analoge Signale sind sehr störanfällig. Hier reicht oft eine „langsame“ Auswertung.
Wenn ich z.B. weiß, dass eine Zustandsänderung eines Signals erst nach einer bestimmten Zeit funktional relevant wird, kann ich schnelle Störungen elegant über Zeitglieder herausfiltern.
Für die Funktion ist die Überwachung auf logische Zustände Standard. Aus EMV-Sicht sind solche Filter eher selten anzutreffen. Hier wird viel Potenzial verschenkt.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Software-Kollegen geniale Ideen für Filter entwickeln, wenn sie von EMV-Verantwortlichen auf die Zusammenhänge und Herausforderungen aufmerksam gemacht werden. Nur wenige Softwareentwickler sind gleichzeitig Hochfrequenzspezialisten und umgekehrt.
Auch hier liegt der Erfolg in der Teamarbeit.
Frequenz und Flankensteilheit bestimmen maßgeblich das Emissionspotential eines Signals. Genau wie bei den Abtastraten gilt auch hier „so langsam wie möglich, nur so schnell wie nötig“.
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Autorin: Martina Kreutz
Martina Kreutz ist Dipl.-Ing. (FH) der Elektrotechnik, Gründerin der KREUTZ EMV GmbH, zertifizierte Projektleiterin (GPM) und Sprecherin auf verschiedenen Fachkonferenzen.
Seit 1996 brennt sie für die EMV. In über 100 Projekten hat sie die EMV ins Ziel gebracht.
Als Consultant löst sie heute die EMV-Probleme ihrer Kunden und zeigt ihnen, wie sie diese in Zukunft vermeiden können.
Neben der Lösung ist ihr wichtig, auch die Ursachen aufzuzeigen. Nur wer die Ursachen und Zusammenhänge kennt, kann EMV-Probleme in Zukunft vermeiden.
Ihr Ansatz: EMV ist Teamarbeit. Viele Beteiligte sind sich ihres Einflusses nicht bewusst.
Wenn man sie ins Boot holt und mit der EMV am Anfang des Projektes beginnt, werden die EMV-Tests meist auf Anhieb bestanden.
Hierfür hat sie einen eigenen Prozess entwickelt, der sich leicht in die Entwicklungsprozesse der Firmen integrieren lässt.