Der Auswahl der richtigen Bauelemente kommt eine viel größere Bedeutung zu als viele glauben.
Damit ist nicht nur die Frage gemeint welche Filterelemente wo eingesetzt werden.
2 Kondensatoren mit gleicher Kapazität und Bauart können aus EMV-Sicht sehr unterschiedlich sein.
Ähnlich verhält es sich mit Spulen, Trafos und EMV-Filter
Was kann man aus Datenblättern herauslesen? Worauf ist dabei zu achten?
Wie verhält es sich mit Application Boards?
Und das sollten Sie bei Zukaufteilen beachten.
EMV-Kondensatoren
Immer wieder hört man Aussagen wie ‚Wir müssen die EMV-Störungen (weg)filtern‘ oder ‚abblocken‘.
Dies suggeriert man könne EMV-Störungen mit geeigneten Maßnahmen, z.B. Filtern, quasi durch Aufstellen einer Barriere an Ort und Stelle aufhalten oder gar eliminieren. Dieser Gedankengang ist falsch und führt nicht selten zu falschen Schlussfolgerungen.
Kondensator als Filter
Ein Filter in seiner einfachsten Form (Kondensator) bietet der Störung einen zusätzlichen Weg an, vorausgesetzt dieser ist niederimpedanter. Ist er dies nicht in ausreichendem Maß kommt dann oft eine zweite Filterstufe (Spule oder Ferrit) zum Einsatz, die die Impedanz im Längspfad (dem ursprünglichen Pfad) erhöht. Eine mögliche dritte Filterstufe bedient wieder den Querpfad, eine vierte den Längspfad usw. Meist wird dadurch auch die Größe der Störschleife reduziert.
Achtung: Es gibt nie nur einen Weg. Die Ströme teilen sich entsprechend den Impedanzen auf. Der „neue“ gewollte Pfad muss also eine deutlich niedere Impedanz haben als der „alte“, wenn er seine Wirkung voll entfalten soll.
Beachten Sie unbedingt, dass jeder Kondensator ein frequenzabhängiges Bauteil ist. Es ändert sein Verhalten mit steigender Frequenz immer wieder. Abhängig ist dies vom inneren Aufbau und den verwendeten Materialien. Irgendwann kehrt sich das Verhalten jedes Kondensators ins Gegenteil. Dies ist nur eine Frage der Frequenz.
Kondensator als Quelle
Eine zweite Rolle, die Kondensatoren einnehmen können, ist die einer Quelle. Insbesondere die hohen und damit schnellen Frequenzanteile können von einer Quelle, die die unteren, energiereicheren Anteile zur Verfügung stellt, nicht gleichzeitig bereitgestellt werden. Elkos wirken bis in den kHz-Bereich, während Keramikkondensatoren (MLCC) bis in den MHz-Bereich reichen.
Für alle Frequenzbereiche gibt es heute Kondensatoren mit unterschiedlichen Materialien, die unterschiedliche Stärken und Schwächen mitbringen.
Aber Kondensatoren in Form realer Bauelemente erreichen in der Schaltung nie die Werte, die man den Datenblättern entnehmen kann. Dies liegt nicht etwa an falschen Angaben. Es liegt an parasitären Effekten wie den Anschlussinduktivitäten und anderen. Jenseits von 100 MHz wirkt annähernd kein realer Kondensator mehr. Hier schlägt die Stunde der gedruckten Kondensatoren im Leiterplattendesign. Diese können bei richtiger Auslegung bis in den GHz-Bereich wirken. Diese sind nicht nur in Multilayer-Platinen darstellbar, aber dort mit höherem Wirkungsgrad umsetzbar.
Auswahlkriterien
Häufig wird als entscheidendes Auswahlkriterium der ESR (Equivalent Serial Restistance) genannt. Dies ist nicht falsch, aber allein nicht hinreichend. Der ESR entspricht in meist guter Näherung der minimalen Impedanz des Kondensators. Hier ist der Schwingkreis aus der Kapazität und der parasitären Induktivität des Kondensators in Resonanz und deren Impedanz geht gegen Null (es bleibt der ESR übrig). Somit gibt diese Frequenz den 1. Anhaltspunkt für den Einsatzbereich des Kondensators.
Die Bandbreite des Kondensators ist ein weiteres Auswahlkriterium. Je „flacher“ die Impedanzkurve ist, desto besser ist der Kondensator als EMV-Bauteil geeignet. Die Impedanz wird stark von Material und Aufbau beeinflusst.
Vorsicht bei starker Miniaturisierung
Bei der geometrischen Verkleinerung kann ein vermeintlich guter Kondensator (gemäß den ersten beiden Kriterien) u.U. zu einem schlechten werden. Man spricht dann von Degration.
Die Degration beschreibt den Effekt, dass sich die Kapazität eines Kondensators mit steigender Frequenz und steigender Spannung reduziert. Der Nennwert wird immer ohne angelegte Spannung gemessen! Es kann passieren, dass unter realen Einsatzbedingungen keine 10% des Nennwertes übrigbleiben. Dieser Effekt steigt mit der Reduzierung der Bauform und abnehmender Nenn-Spannungsfestigkeit.
Somit ist insbesondere bei höheren Betriebsspannungen und starker Miniaturisierung Vorsicht geboten. Eine größere Bauform und höhere Spannungsfestigkeit können deshalb die günstigere Wahl sein.
Einkauf einbinden
Einen Kondensator gegen einen billigeren mit der gleichen (Nenn-)Kapazität auszutauschen kam am Ende schon oft teuer zu stehen.
Sie tun also gut daran Ihren Einkäufer über die Zusammenhänge zu informieren. Wenn dieser sie nur einmal anruft, bevor er ein Bauteil gegen ein vermeintlich gleiches, aber billigeres Teil austauscht, haben Sie viel Ärger gespart. Ihre Prozesse lassen eine solche Aktion seitens Einkaufs ohne Rücksprache mit der Entwicklung nicht zu? Top. Ich habe solche Dinge aber schon x-mal erlebt.
Spulen, Trafos und andere Induktivitäten
Im Prinzip gelten für Induktivitäten (Spulen, Drosseln, Trafos, etc.) die gleichen Dinge wie zuvor für Kondensatoren beschrieben. Dies gilt insbesondere für den Einsatz von Spulen als Filter.
Mit dem Unterschied dass induktive Bauelemente meist sehr viel komplexer sind als Kondensatoren.
Spule als Energiespeicher
Spulen sind wie Kondensatoren Energiespeicher. Dies wird in vielfältiger Art genutzt. Eine weit verbreitete Anwendung, die gleichzeitig sehr EMV-anfällig ist, ist der Einsatz in Schaltwandlern. An diesen soll nachfolgend die Problematik erläutert werden.
Oft wird bei der Entstörung von Schaltwandlern mit Schnüffelsonden gearbeitet. Auch ich mache dies. Ein häufig gemachter Fehler ist, dass hohe Feldstärken an der Speicherspule(*) zu dem Schluss führen, die Spule wäre Ursache des Problems. Dies ist meist nicht der Fall. Die Ursache liegt oft wo anders. In erster Linie ist hier das Leiterplattendesign zu nennen. Die Wirkung zeigt sich nur an der Spule.
Dennoch gibt es viele Eigenschaften die direkten Einfluss auf die Spule haben. Hierzu gehören geometrische, fertigungstechnische und Materialeigenschaften. Diese alle zu beschreiben würde hier den Rahmen sprengen. Sehr pauschal gesagt sind Spulen mit geschlossenem Magnetkreis besser als solche mit offenem. Geschirmte besser als ungeschirmte. Aber es sei nochmal betont. Die Ursache von möglichen EMV-Fehlern liegt oft wo anders. Fehler im Layout bekommen Sie auch mit besseren (und teureren) Spulen nicht gelöst.
Wer hier tiefer einsteigen möchte dem sei das Buch ‘Trilogie der induktiven Bauelemente’ von Würth-Elektronik empfohlen.
(Unterstützen sie bitte Ihren örtlichen Buchhandel und beziehen sie es dort. Danke)
(*) Korrekt wäre hier das Bauteil nicht Spule sondern Drossel zu nennen. Der Verständlichkeit wegen habe ich den physikalisch nicht ganz korrekten Begriff Spule verwendet.
EMV-Filter von der Stange
Was ist zu beachten?
Gerade wenn die eigene Fertigungstiefe nicht bis auf das letzte Elektronik-Bauteil runter geht, sind EMV-Filter von der Stange weit verbreitet. Macht Sinn, vorausgesetzt sie werden gezielt eingesetzt. Hierfür ist es notwendig einige Parameter zu kennen.
Räumliche Anordnung
Wie schon oben bei den EMV-Kondensatoren beschrieben ist die räumliche Anordnung der Filter ein entscheidender Faktor.
Die Filter müssen so nah wie möglich an der zu schützenden Stelle platziert werden. Will ich Abstrahlung verhindern, so muss ich so nah wie möglich an die Störquelle. Will ich dagen eine Baugruppe vor Einkopplung von aussen schützen, so muss ich nah an diese Baugruppe.
Hier wird das erste Problem deutlich. Werden umfangreichere Baugruppen – möglicherweise jeweils mit eigenem Gehäuse – zusammengeschaltet, so komme ich mit den Filtern oft gar nicht so nah ran wie es physikalisch geboten wäre. Dies ist z.B. im Anlagenbau ein großes Problem.
Was ich durch Nähe nicht erreichen kann muss ich zwangsläufig mit größeren und teueren Filter ausgleichen. Finden sich zwischen Filter und zu schützendem Element aber bereits ausreichend “gute” Koppelstrukturen, hilft der beste Filter nichts. In aller Regel handelt es sich bei den Koppelstrukturen um parasitäre, nicht leicht zu erkennende Effekte.
Hinzu kommt:
Die Werte aus den Datenblättern können nicht 1:1 auf Ihre Schaltung übertragen werden! Dazu nachfolgend mehr.
Datenblätter und Application Boards
Datenblattangaben und reales Verhalten
Alle Angaben, die Sie in einem Datenblatt finden beziehen sich i.d.R. auf eine 50-Ω-Messumgebung. Im realen Einsatz findet sich aber selten eine solche 50-Ω-Situation. Das hat zur Folge, dass die (Filter-)Wirkung eine andere sein wird als die im Datenblatt beschriebene. Dabei ist es egal ob die reale Situation hoch- oder niederimpedanter ist.
Dies ist keine gezielte Irreführung seitens der Filterhersteller. Auf allgemeingültige und damit vergleichbare Qualifierungsmethode muss man sich einigen. Da ist eine 50-Ω-Umgebung der übliche und sinnvolle gemeinsame Nenner.
Wichtig ist Sie sich dessen bewusst sind. Man muss abschätzen können in welche Richtung und wie hoch die Abweichungen gegenüber dem Datenblatt ausfallen werden. Besser ist es natürlich, wenn ich es berechnen oder simulieren kann.
Layouthinweise
In Datenblättern von ICs (aber auch anderswo) finden sich häufig konkrete Layoutvorschläge. In Kundenprojekten finde ich diese Vorschläge oft 1:1 im Layout des Kundengeräts.
Es ist jedoch keinesfalls garantiert, dass der Verfasser des Datenblattes auch ein EMV-Fachmann war. Und selbst wenn ein EMV-Experte beteiligt war, so kann dieser nicht Ihre Schaltung kennen. Somit können diese Angaben nie allgemeingültig sein. Sie müssen an die eigene Situation adaptiert werden.
Die Qualität der EMV-Angaben in Datenblättern schwankt sehr stark. Neben sehr guten Angaben habe ich schon viel Nonsens gesehen. Hinterfragen Sie die Datenblattangaben deshalb immer. Oder fragen Sie jemanden, der dies einschätzen kann. Einmal ins Produkt integriert kommt eine nachträgliche Verbesserung immer teurer.
Application Boards
Application Boards geben immer eine sehr eingeschränkte Sicht auch die Wirklichkeit. Diese haben den Sinn verschiedene Funktionen testen zu können. Die Zielsetzung ist eine andere als später in Ihrem Produkt.
Vermeiden Sie es bitte Schaltungen oder Layoutanordnungen solcher Boards in Ihr Produkt zu übernehmen. Es wird schief gehen!
Zulieferteile auswählen und bewerten
Werden 2 Komponenten zusammengebracht, so beeinflussen sich die EMV-Eigenschaften wechselseitig. Die EMV-Eigenschaften jedes einzelnen Teils können sich u.U. erheblich verändern. In jedem Fall ist die EMV des Gesamtsystems eine andere als die der Einzelkomponenten.
Deshalb ist es zwingend notwendig Zukaufteile vorab bzgl. ihrer Elektromagnetische Verträglichkeit zu qualifizieren. Ein Zulieferteil, das ausschließlich zur Weiterverwendung in einem größeren System verwendet wird, muss nach EMV-Richtlinie keinerlei EMV-Anforderungen erfüllen. (siehe Fachartikel ‚CE-Kennzeichnung gemäß EMV-Richtlinie‘)
Mit einem CE-Zeichen auf der richtigen Seite?
Wie sieht es aus, wenn ein Zulieferteil ein CE-Kennzeichen trägt?
Die oben beschriebenen Zusammenhänge (Systemumgebung) gelten auch im Innern.
Alle Teile eines Systems beeinflussen sich wechselseitig. Deshalb sagt das CE-Zeichen wenig bis nichts darüber aus, wie sich das Teil in Ihrem System verhalten wird.
Analog können Sie schon vorab anhand von Datenblättern und dem Wissen um Ihre eigenen Schnittstellen eine erste Bewertung vornehmen.
Legen Sie Sich kein faules Ei ins Nest!
Bei komplexeren Zukaufteilen empfiehlt es sich auch messtechnisch zu prüfen, was Sie erwartet. Dazu ist kein EMV-Labor notwendig. Mit einfacher, auf Ihre Bedürfnisse zugeschnittener Messtechnik, lassen sich unzureichende Teile aussortieren, bevor sie Eingang in die Entwicklung finden.
Wichtig ist zu verstehen, wie sich das Zulieferteil an den Schnittstellen zu anderen Teilen verhält. An einem hochohmigen Gegenüber verhält es sich anders als an einer niederohmigen Schnittstelle.
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